hauptmotiv

Schabbat Sachor

Verstörend

Auslegung von Rabbinerin Gesa Shira Ederberg

‚Sachor – Erinnere dich’, so lautet der Name des heutigen Schabbat, dem Schabbat vor Purim.

Nächste Woche an Purim lesen wir in der ‚Megillá’, dem Buch Esther, wie die Juden Persiens in große Gefahr kommen, aber von der Königin Esther und ihrem Onkel Mordechai gerettet werden. Von Gott aber ist in der ganzen Geschichte keine Rede.

Heute lesen wir zur Einstimmung auf Purim aus dem ersten Buch Samuel vom Kampf der Israeliten unter König Scha‘ul gegen die Amalekiter, einen kleinen Nachbarstamm Israels. Scha‘ul gewinnt die Schlacht und verliert doch sein Königtum, weil er sich nicht an die Anweisungen Gottes hält. In dieser Geschichte ist von Gott sehr viel die Rede.

Was war passiert? Warum war Gott mit dem König unzufrieden? Der biblische Bericht ist verstörend eindeutig: Gott hatte Scha‘ul und den Israeliten befohlen, Amalek auszurotten, alle seine Menschen und Tiere zu töten. Scha‘ul und die Israeliten, so berichtet unser Text,  erfüllten diesen Auftrag, töteten das ganze Volk, doch die besten Schafe, Ochsen und Lämmer, sowie Agag ,den König der Amalekiter, ließen sie am Leben. Dies genügt Gott nicht, denn er fordert absoluten Gehorsam und entzieht Scha‘ul darum die Königswürde.

Was fangen wir heute mit einem solchen Text an und warum lesen wir ihn im Gottesdienst? Wir wollen die erste Frage beantworten und kommen damit vielleicht auch zu einer Antwort auf die zweite Frage.

Wir können uns biblischen Texten auf verschiedene Weise nähern. Eine wichtige Art, mit der Bibel umzugehen, ist die historische Forschung. Wir können die Tora als historische Quelle für die Geschichte des frühen Israels lesen, so wie wir auch die Geschichte anderer Völker erforschen. Dann fällt die Antwort recht leicht: Diese Geschichte von der Vernichtung der Amalekiter ist Teil einer langen Erzählung vom Aufstieg Davids vom Hirtenjungen zum König und Begründer eines großen Reiches. Sein Vorgänger Scha‘ul stand seinem Aufstieg im Weg und die königlichen Annalen Davids berichten, wie Scha‘ul Gottes Unterstützung verlor. Der Kampf mit den Amalekitern mag tatsächlich stattgefunden haben, blutige Kämpfe waren damals an der Tagesordnung. Die Vernichtung des ganzen Volkes und all seiner Tiere ist aber eine Erfindung, denn kein Heerführer konnte sich eine solche „Ressourcenverschwendung“ leisten.

So können wir historisch relativ problemlos nachweisen, daß die Vernichtung Amaleks nur eine literarische Phantasie ist. Was aber haben wir damit gewonnen? Nichts, denn wir lesen die Bibel, zumal im Gottesdienst, nicht als interessante historische Quelle über die Frühzeit unseres Volkes, sondern weil sie Gottes Geschichte mit uns durch die Zeiten schildert und weil sie uns sagt, was wir nach Gottes Willen tun sollen, was Gottes Weisung – ‚Tora’ - für uns ist.

Das eigentliche Problem ist also nicht historisch, sondern es bezieht sich auf Gott, es ist theologisch. Was ist das für ein Gottesbild? Was ist das für ein Gott, der ein Volk einfach auslöschen läßt?

Auch die rabbinische Tradition stellt sich diese Frage und läßt Scha‘ul auf Gottes Auftrag mit drei Fragen antworten: Wenn schon der Tod eines Menschen so furchtbar ist, wie können dann so viele sterben? Was können die Tiere für die Fehler der Menschen? Und: was können die Machtlosen für die Verbrechen derer, die über sie herrschen?

Aber Scha‘ul bekommt auf diese kritischen Fragen an Gott genausowenig eine befriedigende Antwort, wie wir heute.

Die einzige Antwort, die wir geben können und die zugleich auch erklärt, warum wir heute diesen Text im Gottesdienst zusammen lesen, liegt darin, daß die jüdische Geschichte voller Leid und Verfolgung ist und weder die Bibel noch die jüdische Tradition sich vor dieser Realität verstecken. Die Tora erzählt keine erbaulichen Ammenmärchen, sondern konfrontiert uns mit der Realität, auch da, wo es wehtut.

Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung des NDR. Der Beitrag wurde dort am 6. März 2009 gesendet.

29.03.2024 Artikelarchiv >>
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